GQ Magazin // Wer in Kunst investiert, kann sich damit ein Stück weit vor der Inflation schützen. Wichtig ist aber, dabei einige Dinge zu beachten und eine Strategie zu haben.
Die Inflation galoppiert gerade förmlich. Wie kann man jetzt sein Geld am besten anlegen? Wertpapiere erwerben? Kunst kaufen? Kryptowährungen? Oder vielleicht Gold? Wer in Kunst investiert, kann sich damit ein Stück weit vor der Inflation schützen. Dr. Ruth Polleit Riechert ist Expertin auf dem Kunstmarkt und verrät, wieso das so ist und worauf Interessierte achten sollten.
Die promovierte Kunsthistorikerin war viele Jahre im Kunstmarkt und im Marketing der Finanzindustrie tätig, unter anderem für das Auktionshaus Christie’s, Ketterer Kunst, die Deutsche Bank, McKinsey & Company und die LGT Bank, Privatbank des Fürstenhauses von Liechtenstein. Seit 2017 berät die Expertin Privatinvestoren, Firmen, Start-ups und öffentliche Institutionen in Kunstfragen und entwickelt Kunstmarketing sowie Strategien für Kunstsammlungen und Kunstinvestments. Sie ist Autorin des Buchs Kunst kaufen und weiß, worauf es ankommt, wenn man in Kunst investieren möchte.
GQ: Liebe Frau Polleit Riechert, der Kunstmarkt nimmt zuletzt deutlich Fahrt auf. Was sind eigentlich typische Anfängerfehler, wenn man Kunst kaufen möchte?
Ruth Polleit Riechert: Ohne Strategie zu kaufen. Denn dann erhalte ich bestenfalls ein Sammelsurium, aber keine Sammlung.
Sie raten in Ihrem Buch „Kunst kaufen“ dazu, sich beim Investieren in Kunst an Warren Buffett zu orientieren. Was meinen Sie damit genau?
Buffett liefert mit seinen Anlagestrategien wertvolle Anregungen, die auch beim Kunstkauf angewendet werden können. Eine davon lautet, nur dann in etwas zu investieren, wenn man sich auskennt. Er empfiehlt außerdem, in sich selbst zu investieren. Auf Kunst bezogen bedeutet das, so viel wie möglich über die Künstler und ihre Werke, aber auch über den Markt zu lernen. Die wichtigste Regel aber ist, nur dann zu kaufen, wenn man eigentlich nicht wieder verkaufen möchte.
Wie finde ich denn überhaupt einen Einstieg in den Kunstmarkt, wenn ich dort gern investieren möchte, mich aber nicht gut auskenne?
Interessierte sollten zunächst eine Bestandsaufnahme machen: Was gefällt mir, was suche ich? Und im nächsten Schritt prüfen, was ich mit dem Kunstkauf beabsichtige und welches Budget vorhanden ist. Geht es um Geldanlagen oder um die Verschönerung der Wohnung? Sind die Ziele klar, sollte ich als Erstes viel Kunst anschauen: in Büchern, online, auf Ausstellungen in Akademien, Museen, Galerien oder Messen. So verschaffe ich mir einen Überblick und schule das Auge.
Wie geht es dann weiter?
Wenn mir immer wieder bestimmte Werke eines Künstlers oder eine besondere Stilrichtung auffallen, sollte ich mich stärker damit befassen. Gibt es Werke im Verkauf? Wie viel kosten sie? Sobald mir ein Werk besonders gefällt, ist eine Preisanalyse wichtig. Wie viel kosten ähnliche Werke dieses Künstlers? Bei Werken im Sekundärmarkt, also solchen, die bereits mehrfach ihren Besitzer gewechselt haben, ist es absolut erforderlich, die Herkunft nachvollziehen zu können. Wenn sowohl Qualität als auch Preis geprüft sind, folgt die alles entscheidende Frage: Möchte ich das Werk niemals wieder verkaufen? Nur dann empfiehlt sich ein Kauf. Von impulsiven Entscheidungen rate ich ab, besonders im Urlaub.
Was sind die drei häufigsten Vorurteile über Kunst – und welche treffen tatsächlich zu?
Kunst ist teuer: Die meisten Menschen denken, dass nur Vermögende Kunst kaufen könnten. Dabei gibt es sehr gute Kunst insbesondere von Kunstakademieabsolventen im Auflagenbereich [Kunstwerke, die mehrfach zu einer bestimmten Auflage hergestellt werden, Anmerkung der Redaktion] bereits ab 500 Euro im dreistelligen Bereich zu erwerben und Unikate im vierstelligen Bereich ab etwa 3.000 bis 4.000 Euro. Ich habe schon Dekorationsobjekte gesehen, die industriell unlimitiert angefertigt wurden und wesentlich mehr gekostet haben. Mit dem Budget hätten die Käufer lieber mit einem originalen Werk eines jungen Künstlers langfristig etwas potenziell Werthaltiges erworben und gleichzeitig Kunst gefördert.
Kunst ist nur etwas für Kenner: Auch dieser Gedanke schreckt viele Interessenten ab. Allerdings ist die beste Kunst meist leicht verständlich und spricht darum auch viele Menschen an. Ist Kunst nicht auf den ersten Blick verständlich, kann sie zum längeren Nachdenken anregen – für viele ist gerade das reizvoll. Ist sie gänzlich unverständlich, kann es durchaus sein, dass es sich um ein weniger gutes Werk handelt. Betrachter dürfen hier durchaus den Mut haben, ihr Nichtgefallen zu äußern. In Deutschland gehen wir viel zu akademisch mit Kunst um. Dabei soll sie doch Freude machen! Kunst ist für alle da.
Fälschungen gibt es nur auf Online-Plattformen: Auch das ist nicht richtig – leider. Es wird vermutet, dass mindestens 30 Prozent aller Werke am Markt und in Museen Fälschungen sind. Nur wenige Fälle werden aufgedeckt, denn alle Beteiligten nehmen einen Schaden daran. Dies kann in Zukunft nur die Zertifizierung aller neu in den Markt eintretenden Werke über die Blockchain ändern, doch das wird eine Weile dauern.
Was unterscheidet den Kunstmarkt denn eigentlich von anderen Märkten?
Der Kunstmarkt ist vor allem recht klein: Sein Umsatzvolumen von jährlich mehr oder weniger 60 Milliarden US-Dollar in den vergangenen zehn Jahren entspricht gerade einmal dem Jahresumsatz eines Unternehmens wie Hewlett Packard. Zudem lassen sich die Kriterien für gute Kunst nicht einheitlich festlegen und Preise schwer feststellen und vergleichen. Hinzu kommt, dass immer auch der Geschmack beim Kauf entscheidet: Der Preis eines Werks liegt somit im Auge des Betrachters.
Stimmt es, dass oft gar keine Preise veröffentlicht werden?
Ja, und dadurch lässt sich der Wert oft nur schwer errechnen, weil nur etwa die Hälfte aller erzielten Summen veröffentlicht werden – nämlich die Preise auf Auktionen. Alle anderen Verkaufspreise und Umsätze, die Kunsthändler und Galerien erwirtschaften, bleiben unbekannt. Allerdings: Es wird besser. Die Pandemie hat die Digitalisierung vorangetrieben und bewirkt, dass sich Verkaufspreise besser recherchieren lassen.
Eignet sich Kunst denn dann überhaupt, um Geld anzulegen?
Die schlechte Nachricht vorab: Nur ganz wenige Werke eignen sich als Geldanlage im engen Sinne. Denn Kunst generiert keine intrinsische Rendite. Kunstwerke können jedoch wertspeichernd als Schutz vor der Inflation dienen und teils sogar überdurchschnittliche Preissteigerungen erzielen. Die durchschnittliche Rendite für verkaufte Werke aller Epochen auf Auktionen liegt bei einer Untersuchung im Zeitraum von 1960 bis 2013 bei 6,3 Prozent brutto. Bei zeitgenössischer Kunst lag die Rendite in den vergangenen Jahren wesentlich höher. Der artprice 100 Index errechnet für die 100 umsatzstärksten Künstler auf Auktionen eine Rendite von 405 Prozent seit 2000 bis 2021. Wichtig zu wissen ist, dass weltbekannte Künstler, sogenannte Klassiker, die Renditebringer sind. Und dass die Rendite im Einkauf liegt, wie in anderen Märkten auch. Wird ein Klassiker zu teuer eingekauft, schmälert dies die Rendite.
Was bedeutet die Digitalisierung für den Kunstmarkt?
Die Digitalisierung hat begonnen, den Kunstmarkt zu demokratisieren. Bislang konnten oft nur einige wenige Galeristen in New York die Preise von Kunst und die Karrieren von Künstlern steuern – und das auf maximal undurchsichtige Weise. Einige wenige Galeristen, Sammler und Künstler haben davon profitiert. Die meisten blieben aber außen vor, Künstler waren frustriert, Käufer abgeschreckt. Die Digitalisierung des Angebots hat endlich dazu geführt, dass mehr Preise veröffentlicht werden. Denn schnell hat sich gezeigt, was in anderen Branchen selbstverständlich ist: dass Kunstwerke schneller verkauft werden, wenn sie mit einem Preis versehen sind. Insbesondere im Bereich unter 5.000 Euro hat dies neue Käufer angezogen. Mittlerweile werden 20 Prozent aller online abgewickelt, Tendenz steigend.
Zuletzt ist immer mehr die Rede von NFTs, also von sogenannten Non-fungible Tokens, die als digitale Einzelwerke über die Blockchain klar einem Eigentümer zuzuordnen sind. Wie verändern sie den Kunstmarkt?
Besonders für digitale Künstler ist die NFT-Technik ein Meilenstein. Ihre Werke waren im Markt nur schwer handelbar, weil sie beliebig kopiert werden konnten. Nun macht die Zertifizierung auf der Blockchain digitale Werke fälschungssicher. Ihr Anteil am gesamten Verkauf ist auch deshalb im vergangenen Jahr auf elf Prozent angestiegen.
Das eigentlich Revolutionäre an den NFTs ist dabei der Vertrieb: Künstler können ohne Galerien ihre Werke direkt verkaufen. Und: Sie partizipieren an den Folgeumsätzen – ein innovativer Vorteil für Künstler. Preise und Transaktionen können nachverfolgt werden, was ist eine wichtige Neuerung für Käufer ist. Auch wenn wir es hier mit einem Pionierfeld zu tun haben, das komplett unreguliert ist, bietet die Technik die Ansätze für einen demokratischen Kunstmarkt, in dem Käufer über Erfolg und Nicht-Erfolg entscheiden und nicht einige wenige machtvolle Player.
Was sollte ich beachten, wenn ich lieber in NFTs investieren möchte?
Bei NFTs gilt das Gleiche wie bei analoger Kunst: Nur ganz wenige von ihnen eignen sich als Geldanlage. Die Preishistorie ist bei NFTs zwar nachvollziehbar, allerdings wesentlich kürzer als bei physischen Werken. Die Frage ist auch hier: Was ist das Ziel meines Kaufs? Was möchte ich damit erreichen? Qualitätscheck und Preisprüfung sind genauso erforderlich. Und es gilt nach wie vor das Hauptprinzip von Warren Buffett: Nur dann kaufen, wenn man es eigentlich nicht wieder verkaufen möchte!
Interview von Maria Berentzen, GQ Magazin
18. Juni 2022
Lesen Sie GQ-Interview auch auf » www.gq-magazin.de
BUCHTIPP
» Kunst kaufen «
Den Kunstmarkt verstehen, Wissen aufbauen und klug investieren
Ruth Polleit Riechert
270 Seiten, Paperback
ISBN: 978-3658336233
€ 24,99 (D) | E-Book: € 19,99
Springer Verlag
»Wer zu diesem Sachbuch aus dem Springer-Verlag greift, für den beginnt möglicherweise eine neue Sammelleidenschaft, die sich daraus begründet, wie sehr Kunst das Leben bereichern kann. Das Vergnügen und das Lernen beginnt mit der Lektüre dieses unterhaltsam geschriebenen, aber dennoch durchweg fachlich fundierten Buches, das Lust auf mehr macht. (…) Der Leser wird hier mit allem ausgestattet, um über Jahre hinweg Freude am Sammeln und Investieren in Kunst zu entwickeln.« Mehr lesen »
Dr. Oliver Everling
»Tolles Buch, fachkundig, unterhaltsam, auf den Punkt. Wer möchte da nicht Kunstsammler werden.«
Prof. Dr. Thomas Garms, Publizist und Chefredakteur
»Ein Must-have für jeden Sammler, Investor und Kunstliebhaber.« Prof. Dr. Roman Kräussl, Kunstmarktexperte an den Universitäten Luxemburg und Stanford
»Ruth Polleit Riechert liefert in KUNST KAUFEN wirklich alles, was man zum Thema wissen muss. Besonders zielführend ist das eigens entwickelte methodische Vorgehen – die Autorin nennt das die RPR ART® Methode. Mit diesen klar definierten sieben Schritten zum Kunstkauf gewinnt jeder Interessierte zunehmend Sicherheit in seinen Kaufkriterien; er lernt, Qualität einzuschätzen, erzielt realistische Preise, gerät nicht an Fälschungen und verhindert schlussendlich Fehlentscheidungen.« Petra Spiekermann
»Fachlich anspruchsvoller Inhalt, und trotzdem verständlich formuliert.«
Steffen Uttich, Geschäftsführer INBRIGHT Investment GmbH, ehem. FAZ-Journalist
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RPR ART // Dr. Ruth Polleit Riechert // Email: contact@rpr-art.com // Phone: +49 (0)6174-955694
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